Nikolaj Gogol – Der Revisor

Theater Marburg 2011

Regie: Matthias Faltz
Bühne: Petra Straß
Kostüme: Jelena Miletic
Fotograf: Ramon Haindl

VOLLPFOSTEN IM VOLLHOLZ ...Helles Holz beherrscht Petra Straß' Guckkastenbühne bis ins Waschbecken links vorne, gar nicht zu reden von den Holzstufen an der linken Wand und dem hölzernen Kamin hinten, der später, rollbar, zur wilden Liebesjagd dient. Boden und Wände sind, na was?, aus Holz. Ebenso die riesige Weltkarte aus Holzkontinenten hinten, die wie das Foto des Stadthauptmanns neben einem Wallebart alle paar Minuten von der Wand purzeln werden, damit sich der Slapstick-Rhythmus so steigert, dass es die Inszenierung immer tiefer ins Chaos treibt. Man ist in der tiefsten Provinz: Alles ist schlechte Ordnung und Datscha. Aus Petersburg wird bei Intendant Matthias Faltz Moskau, und das ist und bleibt weit weg. Trotzdem brennt seiner Handvoll Provinznest-Honoratioren, die in irren Verrenkungen auftreten, alleweil die Angst vor möglicher Kontrolle durch die Zentralmacht auf den Nägeln. Da taucht er wirklich auf, der angekündigte Inkognito-Revisor – oder etwa nicht? So oder so, die Mimik unter den dick gemalten Augenbrauen ist absurd übersteigert, die "feinen" Anzüge sind übergroß, schepp geschnitten und aus dickem Filz. Nicht weit her mit der Verfeinerung.Bunte Galerie grotesker Typen. Das Welttheater kennt falsche Zaren wie Puschkins Godunow und Schillers Demetrius, Hochstapler wie Zuckmayers Hauptmann von Köpenick, ja sogar Revisoren wie Kleists Gerichtsrat, der im "Zerbrochnen Krug" den schlechten Richter Adam bedrängt. Bei Gogol wird der Revisor selbst zum falschen Fuffziger, nur veredelt er die Untersuchten darum kein bisschen. Eine völlig korrupte und gewaltselige Büttelverschwörung tritt uns, wie 1836 den Petersburgern, gegenüber. Matthias Faltz zeigt sie uns als Selbstbedienungs-Klüngel aus dubiosen Stützen der Gesellschaft: … Nuancierte Psychologie würde nur stören.System statt Volk "Im 'Revisor' beschloß ich, alles Schlechte in Rußland auf einen Haufen zu sammeln und mit einem Mal alles zu verlachen", schrieb Gogol, als ihm schon klar wurde, dass sein kritischer Impuls im prustenden Lachen der Städter unterging. Dabei ist sein Protagonist ein urbaner Jedermann. Der Missbrauch präsentiert sich ihm auf dem Silberteller. Darum können wir Charles Toulouse als Chlestakow, diesem Petersburger Windbeutel von einem subalternen Beamten, nicht böse sein, wenn die weitaufgerissenen Augen unter der Kochtopf-Frisur sein Staunen über diese Goldgrube in ihrer Selbst-Potemkisierung spiegeln. Man schmeißt ihm Geld und Mahlzeiten, Töchter und Mütter nach. Schilda als Tiffany's zur Selbstbedienung: Wer könnte da widerstehen? Volk kommt freilich kaum vor, dafür rückt das System ins Kenntliche und lässt nach Entsprechungen heute fahnden. Chlestakows schlauen Diener Osip spart sich Faltz völlig, Mitleid weckt gerade noch die verlassen greinende Tochter. Schon die (bei Faltz) gefolterten Kaufleute sind als radebrechende bärtige Fünfercombo mit winterlichem Tschetschenenflair, das Haar zum Fellmützenlook frisiert, bloß lächerlich.Kafkaesk? Nicht ganz. Das Spiel mit dem roten Teppich ist ein einziger Stolper-Slapstick, nicht nur auf der Stufe um Stufe abfallenden, "de-eskalierten" Treppe. Tänzelnde Auftritte zu Balkan- und Zigeuner-Rock bestechen uns. Wenn Chlebnikow und der Hauptmann in flinken Dialogen, dummen Mienen oder einem weltmännisch-ritualisierten Übersprung-Ballett aneinander vorbeireden, ist das urkomisch, genau wie die allseits verschrobene Körpersprache oder die akrobatische Liebedienerei. Dass es bis zum großen Freeze, als Chlebnikow schon über alle Berge ist, eine Stimme im Off den echten Revisor ankündigt und alles musikalisch zum Anfang zurückkreist, bis zum Albdruck einer kafkaesken Parabel reicht, wäre zwar zuviel gesagt. Auf effektive Grotesk-Mechanismen versteht sich Faltz in diesen flotten zwei Mal vierzig Minuten jedoch bestens.
Marcus Hladek, nachtkritik.de

…Tempo, Tempo, Tempo ist das Motto dieser witzigen Inszenierung, die von der ersten Minute an reichlich Fahrt aufnimmt. Den Besucher sacht an die Geschichte heranführen? Ihm Zeit geben, die Charaktere in aller Ruhe kennen zu lernen? Faltz sieht das anders. Die Bühne ist kaum freigegeben, da wummern Hip – Hop – Beats durch die Szenerie. Und die erste Attacke auf des Zuschauers Zwerchfell lässt auch nicht lange auf sich warten, denn der Intendant stellt Gogols korruptes Personal in einer aberwitzigen Choreografie vor.…Faltz und das gesamte Ensemble haben diese Gogol'sche Politsatire hervorragend und zeitgemäß herausgearbeitet, auch durch das Bühnenbild von Petra Straß, das einen schlicht aus Holz gestalteten Innenraum zeigt. Der Clou: Laufend fallen Bilder von den Wänden und Stufen aus der Treppe, was den durch Bestechlichkeit verursachten Zerfall der Stadt sehr schön versinnbildlicht. Das Fazit: Das Landestheater zeigt eine pfiffige und sanft modernisierte Gogol - Inszenierung mit zahlreichen Slapstickelementen, die von der ersten Minute an richtig Spaß macht.
Stephan Schwarz Giessener Anzeiger 14.11.2011

…Großen Anteil an der Inszenierung hatte auch das dynamische Bühnenbild von Petra Straß, ihr Debüt am Hessischen Landestheater Marburg. Ständig fiel irgendeine Wanddekoration herunter, selbst Treppenstufen lösten sich aus ihrer Verankerung. So wurde man ständig daran erinnert, wie brüchig und hinfällig alle Umstände in jener Welt seien. ...
Jürgen Neitzel Marburgnews 6.11.2011

Das Lachen sei die einzige ehrliche Persönlichkeit im „Revisor“, hat Gogól einmal gesagt. Lachen dürften auch die Besucher des Landestheaters. Intendant Matthias Faltz setzt die Komödie nicht als stille Satire in Szene, sondern als laute, temporeiche Groteske – mit völlig überzeichneten, hässlichen Typen. Ausstatterin Jelena Miletic bringt den Filz, der den Kosmos der Kleinstadt wie ein Geflecht durchzieht, auch optisch auf den Punkt: Die Männer stecken in grellbunten Filzanzügen, die Perücken mit wirren Haaren sind bewusst nicht kaschiert. Auch das Bühnenbild von Petra Straß ist ein Dokument der allumfassenden Korruption: Nichts funktioniert. Der Wasserhahn tropft, Wanddekorationen führen ein Eigenleben, die Treppe bricht bei jeder kleinen Belastung.
Uwe Badouin Oberhessische Presse 6.11.2011

Dass diese Posse auch noch 2011 ihre Gültigkeit hat, das führt jetzt der Marburger Intendant Matthias Faltz im Theater am Schwanhof unterhaltsam vor. Faltz treibt dabei die Farce gehörig auf die Spitze: Alle Figuren sind trefflich überzeichnet, und der Filz hat sich schon in der Kleidung der tumben Dorfbevölkerung festgesetzt.Da in dem Nest jeder in seine eigene Tasche wirtschaftet, bleibt der angekündigte Besuch eines Revisors aus Moskau nicht ohne Folgen. Fälschlicherweise hat man einen armen Studenten im Gasthaus als den vermeintlichen Prüfer ausgeguckt, der sich – hat er erst einmal seinen Vorteil begriffen – einen Heidenspaß aus der Angst und der Unterwürfigkeit seiner Gastgeber macht, dankbar die großzügigen Spenden der Honoratioren der Stadt entgegennimmt und sich schließlich mit prallem Geldbeutel davonstiehlt. Charles Toulouse legt in der ihm zugedachten Rolle ein wahres Kabinettstückchen hin. Können diese Augen lügen? Dabei kommt dem schlaksigen Schauspieler auch seine Ausbildung zum Pantomimen zugute, wie überhaupt alle Akteure sich als Könner des Slapsticks erweisen. Ein Meister dieses Fachs ist Sebastian Muskalla, der als Stadthauptmann alle Register zieht, um seine Macht zu wahren und dabei am Ende zur lächerlichsten Figur in diesem Täuschungsmanöver wird. Wie Muskalla schreitet, schaut, deklamiert und beim Tanzen kaum zu bremsen ist, ist schon eine Klasse für sich!Uta Eisold trumpft als seine eitle Ehefrau mit Bienenkorbfrisur und dem nötigen Ehrgeiz auf, doch etwas gesellschaftlichen Glanz in die marode Hütte zu bringen. Denn in dem freundlich-hölzernen Bühnenbild von Petra Straß fallen Bilder, Treppenstufen und ganze Kontinente von den Wänden – ein angeschlagener Staat in Auflösung.
Marion Schwarzmann Giessener Allgemeine 13.11.2011

BEWEGTE SEELEN ...Matthias Faltz hat Gogols Komödie "Der Revisor" aus dem Jahr 1836 für sein Theater Marburg auf die Bühne gebracht, als wäre er selber der Puppenspieler. Er übersetzt die innere Bewegung, die im Stück ist: die Angst vor der Blossstellung, in eine äusserst clowneske Haltung. Zu sehen ist, auch mit dem wunderbar belebten Raum von Petra Straß, ein groteskes Schatzstück über einen Fall in der russischen Provinz, die überall sein kann. Und so sehr die Figuren gegen den drohenden Machtverlust lavieren, aus ihren Hüllen kommen sie nicht heraus. ...Ein glänzendes Ensemble. Und: In der Begegnung mit diesen Figuren zeigt sich etwas, das über die Komödie hinausgeht. Das Spiel kippt ins Abgründige. Toll.
Stefan Busz Der Landsbote Winterthur 22.12.2011