Looking for Orlando

Mainzer Kammerspiele 2010

Bühnenfassung: Petra Straß
Fotografie/Kostümobjekte: Petra Straß
Cony Theis
Schauspiel: Franca Schuller
Musik: Yumiko Noda
Fotografin: Anne Mueck

GEFÜHL DES ANDERSSEINS Überzeugende Bühnenadaption des Romans „Orlando“.Der rauschhafte Historienfilm „Orlando“ (1992) hat der Geschlechter-Biographie von Virginia Woolf ungeahnte Aktualität und Popularität verschafft. Der experimentelle Roman der englischen Schriftstellerin von 1928 über einen Edelmann des 16. Jahrhunderts, der die Jahrhunderte bis in die Gegenwart überdauert und die Geschlechter wechselt, sprengte damals jede Konvention.
Die Bühnenadaption des Theater Lilias nutzt bei der Uraufführung in den Kammerspielen Texte des Romans, die vor allem das Innenleben widerspiegeln. Franca Schuller ist ein ernster, anmutiger Orlando, der durch Zeit, Raum und Gefühlsstürme tanzt und taumelt. In den anrührenden Monologen wird die Frage nach menschlicher und sexueller Identität nicht explizit gestellt. Sie schwingt aber in Erinnerungen, Reflexionen und Empfindungen stets mit. Im inneren Monolog Orlandos sind das Gefühl des Andersseins und der Widerstand gegen die Konvention stets präsent. Leidenschaft paart sich mit Behauptungswillen, obwohl die Außenwelt fast völlig ausgeblendet bleibt. Wonne und Schmerzen begleiten das Wunder des Geschlechterwandels gleichermaßen. Die Schwärze der Nacht und die hämmernden Schläge des Regens illustrieren das vergebliche Liebeswerben.
Auf sich zurückgeworfen wird Orlando die Geliebte der Natur. Die lyrisch bildhafte Sprache findet ihre Verdichtung in rauschhaften Naturschilderungen, die dem Sturm und Drang entlehnt sein könnten. Die fragmentarische Textauswahl umgibt Orlando mit einer geheimnisvollen Aura. Im Traum erscheinen Orlando die Frauen der Reinheit, Keuschheit und Sittsamkeit, die sie als verzerrte Fratzen wahrnimmt.
Lichtregie, Bühnenbild und Musik illustrieren und unterstützen die Gefühlsausbrüche der Grenzgängerin ungemein. Die Bratschistin Yumika Noda umspielte die Szenen mit wundervoller klassischer Musik von Bach, Händel und dem von Franca Schuller gesungenen Folk Traditional „Greensleaves“.
(aba). Wiesbadener Kurier 06.10.2010